Corona-Paukenschlag in Ludwigsburg: § 3 CoronaVO Baden Württemberg in der Fassung vom 9.5.20 ist verfassungswidrig und damit nichtig!

1. § 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 32 IfSG (in der Fassung bis zum 18.11.2020) ist keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die weitgehenden Eingriffe gemäß § 3 CoronaVO BW i.d.F. vom 9.5.20, sodass § 3 CoronaVO BW schon aus diesem Grund verfassungswidrig ist.

2. Wird das gesellschaftliche Leben in grundrechtssensibelsten Bereichen im Ganzen auf nicht vorhersehbare Dauer beschränkt, bedarf es des förmlichen Verfahrens parlamentarischer Gesetzgebung (Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt).

3. Der Verordnungsgeber hat mit den Regelungen in § 3 CoronaVO BW den ihm zustehenden exekutiven Gestaltungsspielraum überschritten.

4. Der Bestimmtheitsgrundsatz kann auch ein zeitliches Element aufweisen (Änderungen der CoronaVO BW in schneller Folge).

5. Der Begriff des Aufenthalts im öffentlichen Raum gem. § 3 CoronaVO ist nach dem infektionsschutzrechtlichen Zweck der Verordnung zeitlich einzugrenzen. Jedenfalls das Vorbeilaufen an einem Streifenwagen an der frischen Luft fällt nicht hierunter.

Tenor

Der Betroffene wird auf Kosten der Staatskasse

freigesprochen.

Seine notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Dem Betroffenen lag zur Last, sich am 20.5.20 um 21:10 Uhr in Ludwigsburg, A-Str./S-Str. trotz eines Aufenthaltsverbots mit mehr als einer weiteren Person, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstands gehört, im öffentlichen Raum aufgehalten und dadurch gegen § 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. §§ 3228 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz und § 9 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 CoronaVO BW i.d.Fassung vom 9.5.20 verstoßen zu haben. Der Betroffene habe sich mit anderen zu dritt in der Öffentlichkeit aufgehalten und alkoholische Getränke konsumiert, wobei alle drei Personen in verschiedenen Haushalten lebten und auch nicht direkt miteinander verwandt seien.

Von diesem Vorwurf war der Betroffene sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

II.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme sieht das Gericht als erwiesen an, dass der alkoholisierte Betroffene (AAK um 21:31 Uhr 0,24 mg/l) mit zwei weiteren Begleitern fußläufig an der Tatörtlichkeit unterwegs war, an der der Zeuge K. auf die Gruppe aufmerksam wurde, als sie sich versetzt (eine Person lief vorne, zwei Personen dahinter) am Streifenwagen “vorbeischlängelten” und dabei eine der Personen einen Kommentar in Richtung der Polizeibeamten abgab. Ein Mindestabstand von 1,5 Metern wurde dabei zwischen den Personen nicht eingehalten. Der Zeuge war der rechtlichen Ansicht, dass der Abstand zwischen den Personen keine Rolle spiele. Nach der Kontrolle entfernte sich die Gruppe, wobei sie nach ca. 100 Metern nebeneinander ohne Einhaltung eines Abstands gingen. Dem Betroffenen war bekannt, dass ein Aufenthaltsverbot bestand und er hätte erkennen können, dass er den Mindestabstand von 1,5 Metern unterschritt.

Die entsprechenden Normen der CoronaVO lauten wie folgt:

§ 3 Einschränkungen des Aufenthalts im öffentlichen Raum und von Ansammlungen, Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen

Abs. 1: Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist bis zum 5. Juni 2020 nur alleine oder im Kreis der Angehörigen des eigenen sowie eines weiteren Haushalts gestattet. Zu anderen Personen ist im öffentlichen Raum, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Personen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr müssen zum Schutz anderer Personen vor einer Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus

1. im öffentlichen Personenverkehr, an Bahn- und Bussteigen sowie in Flughafengebäuden und

2. in den Verkaufsräumen von Ladengeschäften und allgemein in Einkaufszentren

eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung tragen, wenn dies nicht aus medizinischen Gründen oder aus sonstigen zwingenden Gründen unzumutbar ist oder wenn nicht ein anderweitiger mindestens gleichwertiger baulicher Schutz besteht.

Abs. 2: Außerhalb des öffentlichen Raums sind Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen von jeweils mehr als fünf Personen vorbehaltlich des Selbstorganisationsrechts des Landtages und der Gebietskörperschaften bis zum 5. Juni 2020 verboten. Ausgenommen von diesem Verbot sind Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen, wenn deren teilnehmende Personen

1. in gerader Linie verwandt sind, wie beispielsweise Eltern, Großeltern, Kinder und Enkelkinder

2. Geschwister und deren Nachkommen sind

3. dem eigenen Haushalt angehören

sowie deren Ehegatten, Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner oder Partnerinnen oder Partner; hinzukommen dürfen Personen aus einem weiteren Haushalt. Die Untersagung nach Satz 1 gilt namentlich für Zusammenkünfte in Vereinen, sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen außerhalb der in §§ 1 und 1a genannten Bereiche.

Abs. 3: Ausgenommen von dem Verbot nach den Absätzen 1 und 2 sind Veranstaltungen, Ansammlungen und sonstige Zusammenkünfte, wenn sie

1. der Aufrechterhaltung des Arbeits- und Dienstbetriebs einschließlich der innerbetrieblichen und -dienstlichen Ausbildung

2. der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung

3. der Daseinsfür- oder -vorsorge

4. der medizinischen Versorgung, wie beispielsweise der Gewinnung von Blutspenden, wenn geeignete Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen im Sinne von § 4 Absatz 3 getroffen werden,

5. dem Betrieb von Einrichtungen, soweit er nicht nach dieser Verordnung untersagt ist, wobei für die Besucher und Kunden der Einrichtungen im öffentlichen Raum Absatz 1 Sätze 1 und 2 entsprechend gelten, oder

6. der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes

zu dienen bestimmt sind. Satz 1 Nummer 1 gilt insbesondere für Veranstaltungen, Ansammlungen und sonstige Zusammenkünfte der Gerichte, der Staatsanwaltschaften sowie der Notarinnen und Notare des Landes. Bei Versammlungen nach Satz 1 Nummer 6 haben die Teilnehmer untereinander und zu anderen Personen, wo immer möglich, im öffentlichen Raum einen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes können verboten werden, sofern der Schutz vor Infektionen anderweitig, insbesondere durch Auflagen, nicht sichergestellt werden kann.

Abs. 4: Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen von Kirchen sowie Religions- und Glaubensgemeinschaften zur Religionsausübung sind zulässig. Das Kultusministerium wird gemäß § 32 Satz 2 IfSG ermächtigt, durch Rechtsverordnung Vorgaben zum Infektionsschutz und sonstige ausführende Regelungen für Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen nach Satz 1, ferner für alle Bestattungen, Totengebete sowie rituelle Leichenwaschungen zu erlassen.

Abs. 5: Die zuständigen Prüfungsbehörden können zur Durchführung von Staatsprüfungen, einschließlich der Kenntnisprüfungen, Ausnahmen von den Verboten nach den Absätzen 1 und 2 sowie von § 2 und § 4 Absatz 1 Nummer 2 zulassen.

Abs. 6: Das für den Gegenstand der Ausbildung jeweils fachlich zuständige Ministerium kann unbeschadet der Regelungen in den §§ 1 und 2 zur Behebung einer Personalknappheit unter Auflagen zum Schutz vor Infektionen für die Durchführung von Veranstaltungen zur Ausbildung oder Qualifikation für Berufe einschließlich von Prüfungen Ausnahmen von den Verboten nach den Absätzen 1 und 2 sowie § 4 Absatz 1 Nummer 2 zulassen.

Abs. 7: Die zuständigen Behörden können aus wichtigem Grund unter Auflagen zum Schutz vor Infektionen Ausnahmen vom Verbot nach den Absätzen 1 und 2 zulassen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn

1. Ansammlungen und sonstige Veranstaltungen der Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur im Sinne von § 1b Absatz 8 dienen oder

2. es sich um gesetzlich vorgeschriebene Veranstaltungen handelt und eine Verlegung des Termins nicht möglich ist.

§ 9 Abs. 1 Nr. 1: Ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 3 Abs. 1 S. 1 sich im öffentlichen Raum aufhält.

III.

Der Betroffene war bereits aus rechtlichen Gründen freizusprechen, da § 3 CoronaVO BW in der Fassung vom 9.5.20 verfassungswidrig und damit nichtig ist.

1. Das Gericht hat über die Verfassungsmäßigkeit der Norm vorliegend selbst zu entscheiden. Vorlagefähig gem. Art. 100 GG sind nur deutsche förmliche Gesetze, d.h. Parlamentsgesetze des Bundes und der Länder einschließlich der Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen (zu letzterem BVerfGE 95, 39 (44)). Da es sich bei der CoronaVO als Rechtsverordnung um rein materielles Recht handelt, hat der Richter über deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht selbst zu entscheiden.

2. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG i.V.m. § 32 IfSG stellt bereits keine taugliche Ermächtigungsgrundlage dar (a), ferner verstößt die Regelung im Verordnungswege gegen den Parlamentsvorbehalt (b), überschreitet ohnehin den Gestaltungsspielraum der Exekutive (c) und verstößt insoweit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, als durch die in schneller Folge vorgenommenen Änderungen der CoronaVO ein verlässlicher und stabiler Ordnungsrahmen für den Bürger nicht mehr gegeben ist (d).

a) § 3 CoronaVO ist bereits nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG i.V.m. § 32 IfSG gedeckt. Hier handelt es sich um eine infektionsschutzrechtliche Generalklausel, die mit einigen Modifikationen für das Infektionsschutzrecht der üblichen Logik des Gefahrenabwehrrechts folgt. Bekämpft wird eine konkrete Gefahr im konkreten Einzelfall, wobei der Adressat der Maßnahme vorrangig der aus dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht bekannte “Störer”, also hier der Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider im Sinne von § 28 Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz ist (so BVerwGE 142, 205-219, Rn. 25). Ist dies notwendig, können jedoch auch Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Anzulegen ist jedenfalls ein flexibler Maßstab, der sich am jeweiligen Bezug der in Anspruch genommenen Person zur Infektionsgefahr orientiert – an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts werden umso geringere Anforderungen gestellt, je größer und folgenschwerer der zu erwartende Schaden ist (hierzu BeckOK InfSchR/Johann/Gabriel IfSG § 28 Rn. 21).

Ursprünglich gedacht waren die in §§ 28 ff. IfSG vorgehaltenen Instrumente jedenfalls für kleinräumige und kleingliedrige Interventionen (so auch Heinig/Kingreen/Lepsius/Möllers/Volkmann/Wißmann, JZ 20, S. 861 ff. (869)), was auch – wie im Gefahrenabwehrrecht üblich – an der Orientierung des Bezugs der Einzelperson zur Infektionsgefahr ersichtlich wird. Bereits der Wortlaut der Vorschrift legt diese Interpretation nahe: Es ist die Rede von “Personen”, dem “Ort an dem sie sich befinden” und “bestimmten Orten” – jedenfalls nicht flächendeckenden Maßnahmen für ganze Bundesländer.

Da eine andere Ermächtigungsgrundlage jedoch nicht zur Verfügung stand, wurde im Frühjahr 2020 in schneller Folge aufgrund von §§ 2832 IfSG eine Vielzahl von Rechtsverordnungen erlassen, die kleinteilig und dezidiert das öffentliche Leben in sämtlichen Bereichen neu ordneten und genauso schnell wieder abgeändert wurden, sich hierbei jedoch – wie die CoronaVO Baden-Württembergsnicht auf einen kleinen Adressatenkreis oder auf einen räumlich abgrenzbaren Teilbereich beschränkten, sondern vielmehr sämtliche Bürger eines gesamten Bundeslandes erfassten (kritisch zu dieser “Parallelrechtsordnung” durch Rechtsverordnung in der Pandemie: Heinig/Kingreen/Lepsius/Möllers/Volkmann/Wißmann, JZ 20, S. 861 ff. (866)). Hieran hat sich bis heute nichts geändert. Die CoronaVO Baden-Württemberg vom 9.5.2020 ist eine dieser Verordnungen, die in ihrem § 3 Abs. 1 S. 1 sämtlichen Bürgern Baden-Württembergs verbietet, sich im gesamten öffentlichen Raum Baden-Württembergs mit Personen aufzuhalten, die nicht dem selben oder einem weiteren Haushalt entstammen.

Mit den Grundsätzen der Gefahrenabwehr (s.o.) hat dies jedoch nichts mehr gemein. Gefahrenprognose und Adressatenauswahl werden derart pauschaliert, dass die Inanspruchnahme eines konkreten Störers zur Bekämpfung einer konkreten Infektionsgefahr an einem abgrenzbaren Ort gänzlich zu Gunsten einer allgemeingültigen und vollkommen abstrakten Einschätzung aufgegeben werden (so auch AG Dortmund, Urteil vom 2. November 2020 – 733 OWi 127 Js 75/20 – 64/20 – juris). § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG wird hierdurch zu einer “Ermächtigung für alles und jedes” (kritisch hierzu Volkmann, NJW 20, 3153 ff. (3156)). Angesichts der Eingriffsintensität der Maßnahme, die in räumlich und personell nicht eingegrenzter Weise das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG massiv beschneidet, kann dieses Ergebnis nicht überzeugen. Art. 80 Abs. 1 GG verlangt, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen. Dies gilt umso mehr, je eingriffsintensiver eine Maßnahme ist. Vergleicht man die Anforderungen an sonstige Eingriffsbefugnisse im Gefahrenabwehrrecht, wie beispielsweise Onlinedurchsuchung oder automatische Erfassung von KfZ-Kennzeichen, mit der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel, wird ein eklatantes Missverhältnis deutlich. Das BVerfG fordert hier eine konkrete Bestimmung der Eingriffs- und Gefahrenschwellen, bei Maßnahmen mit hoher Eingriffsintensität bestimmte Verdachtsgrade und eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrenlage, um das staatliche Handeln für den Bürger vorhersehbar und kontrollierbar zu machen; bei der Inanspruchnahme von Nichtstörern gelten erhöhte Voraussetzungen bei deren Beziehung zur abzuwehrenden Gefahr; bei Eingriffen in besonders sensible Grundrechtssphären wie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sind besondere Vorkehrungen zu dessen Schutz zu treffen; dazu kommen Kontroll- und Evaluationsmöglichkeiten, Berichtspflichten oder Kontrollen durch unabhängige Stellen – und das alles in der Ermächtigungsgrundlage durch Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers (vgl. zu den Anforderungen BVerfGE 141, 220 (267 ff.) für heimliche und punktuelle Informationseingriffe, BVerfGE 150, 244 (280 ff.) zur Kfz-Kennzeichenkontrolle).

Vor diesem Hintergrund können die deutlich weitergehende Eingriffe der CoronaVO Baden-Württemberg auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel, die sämtliche oben genannten Anforderungen nicht erfüllt, nicht gestützt werden, sodass § 3 CoronaVO schon aus diesem Grund verfassungswidrig ist.

b) Ohnehin verstößt die Regelung gegen den Parlamentsvorbehalt. Für zeitlich, räumlich und vom Adressatenkreis her eng limitierte Maßnahmen konkreter Gefahrenabwehr ist die hier in Rede stehende generalklauselartige Eingriffsermächtigung der §§ 3228 Abs. 1 S. 1 IfSG sicherlich ein flexibles und adäquates Instrument – wird jedoch das gesellschaftliche Leben in grundrechtssensibelsten Bereichen im Ganzen wie hier durch die CoronaVO auf nicht vorhersehbare Dauer beschränkt, bedarf es des förmlichen Verfahrens parlamentarischer Gesetzgebung. Dieser aus Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot abgeleitete Parlamentsvorbehalt verpflichtet den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen (sog. Wesentlichkeitstheorie, vgl. BVerfGE 49, 89, 126 – Kalkar I; 98, 218, 251 – Rechtschreibreform). Eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers besteht insbesondere in mehrdimensionalen, komplexen Grundrechtskonstellationen, in denen miteinander konkurrierende Freiheitsrechte aufeinandertreffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Die Wesentlichkeitstheorie bestimmt im Übrigen nicht nur über die Frage, ob eine bestimmte Regelung durch den Gesetzgeber zu treffen ist sondern auch darüber, wie genau diese Regelung im Einzelnen sein muss (stetige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 139, 19 m.w.N.).

In Rechtsprechung, Literatur und Politik besteht insoweit Einigkeit, dass es vorliegend um Grundrechtseingriffe geht, die “nach Intensität, Reichweite und zeitlicher Dauer mittlerweile ohne Beispiel sein dürften” (BayVGH, Beschluss v. 29.10.20 – 20 NE 20.2360 – juris; vgl. hierzu nur Heinig/Kingreen/Lepsius/Möllers/Volkmann/Wißmann, JZ 20, S. 861 ff.; Volkmann, NJW 20, 3153 ff.; VerfGH Berlin, Beschluss v. 20.5.20 – 81 A/20 – juris; Papier, DRiZ 20, 180; AG Dortmund, a.a.O.; die Bundeskanzlerin: “demokratische Zumutung”, “Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte” laut Plenarprotokoll 19/156 des Deutschen Bundestags, 23.4.20, 19296).

Vor diesem Hintergrund kann das in § 3 Abs. 1 S. 1, 2 CoronaVO normierte Aufenthaltsverbot im öffentlichen Raum, das die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG massiv beschränkt und trotz der in Absatz 3 normierten Ausnahmen zumindest indirekt auch Auswirkungen auf andere Grundrechte wie Berufsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, oder Kunstfreiheit hat, nicht durch Rechtsverordnung geregelt werden sondern ist eine so wesentliche (Abwägungs-) entscheidung, dass sie vom parlamentarischen Gesetzgeber zu treffen ist. Das Verhältnis der einzelnen Grundrechte zueinander stand immer schon im lebhaften Diskurs und auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist kein “Supergrundrecht”, sondern gem. Art. 2 Abs. 2 GG durch Gesetz einschränkbar. Gesundheit und Leben reihen sich in die Reihe von Gewährleistungen ein, die das Grundgesetz so gut als möglich zu schützen bemüht ist, in einem ständigen, diskutablen und revidierbaren Prozess der Zuordnung, Abgrenzung, Hervorhebung und Zurücksetzung (zum Ganzen Heinig/Kingreen/Lepsius/Möllers/Volkmann/Wißmann, JZ 20, S. 861 ff. (864)). Diesen Anforderungen kann und darf durch eine Rechtsverordnung der Exekutive denknotwendig nicht Genüge getan werden. Aufgabe der Exekutive ist die verhältnismäßige Einzelfallentscheidung, nachdem der generell-abstrakte Grundrechtskonflikt bereits durch das Gesetz bewältigt worden ist – nicht die originäre Entscheidung darüber, welche Grundrechte zurückstehen und welche Vorrang haben. Dies ist dem Gesetzgebungsprozess immanent, in dem insbesondere auch die Opposition zu Wort kommt (“erhebliche Zweifel” an der Erfüllung der Anforderungen des Parlamentsvorbehalts hat auch der BayVGH, Beschluss vom 29.10.20, a.a.O., sowie der VGH Baden-Württemberg (“fraglich”), Beschluss vom 11.11.20 – 1 S 3378/20, Rn. 27 – juris; klar verneinend AG Dortmund a.a.O, wohl ebenso AG Reutlingen, Beschluss vom 9.12.20, 4 OWi 23 Js 16246/20, abhängigmachend vom Zeitmoment Sächsisches OVG, Beschluss vom 20.11.20 – 3 B 356/20 – juris; wohl einhellig im Schrifttum, BayVGH a.a.O. Rn. 35 m.w.N.).

Die in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Thema aufgeworfene Frage, ob aufgrund der gänzlich neuen Situation die Frage nach dem Parlamentsvorbehalt anders zu beantworten bzw. zuzulassen ist, dass aufgrund der Anforderungen einer bislang unbekannten Situation auch (zunächst) rechtlich unbekannte Wege beschritten werden, um eine schnelle und flexible Reaktion auf das Infektionsgeschehen zu ermöglichen, kann im vorliegenden repressiven und damit nicht besonders eilbedürftigen Bereich der Ordnungswidrigkeiten keine Rolle spielen (hierzu ausführlich AG Reutlingen, Beschluss vom 9.12.20, 4 OWi 23 Js 16242/20), wobei auch zu beachten ist, dass die Intensität der Grundrechtseingriffe durch ihre zeitliche Dauer zunimmt (hierzu Brocker, NVwZ 20, 1485 (1486). Außerdem war das Szenario einer pandemisch verlaufenden Infektionserkrankung bereits bekannt – dem deutschen Bundestag lag ein Bericht der Bundesregierung zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz vor, in dem die Folgen des Ausbruchs eines fiktiven Coronavirus – der auch so betitelt wurde – beschrieben wurden, bei dem immerhin von 10% Letalität der Gesamtbevölkerung ausgegangen wurde; gestaffelt nach Altersgruppen von 1% bei Kindern bis zu 50% bei über 65-jährigen (BT-Drs. 17/12051, S. 58). Nebenbei bemerkt wurden hier als Maßnahmen neben Quarantäne von Kontaktpersonen und Behandlung Infizierter auf Isolierstationen nur Schulschließungen, die Absage von Großveranstaltungen sowie Hygieneempfehlungen besonders aufgeführt (BT-Drs. a.a.O., S. 61 f). Desweiteren wurden in anderen Bereichen teils weitreichende Gesetzesänderungen in kürzester Zeit unter Beteiligung des Parlaments realisiert. Zu nennen sind neben Änderungen im Zivilrecht vor allem Änderungen im Infektionsschutzgesetz, welches der Gesetzgeber seit Beginn der Pandemie bereits mehrfach weiterentwickelt und präzisiert hat, bevor am 19. November 2020 das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. 2020 Teil I Nr. 52, S. 2397) in Kraft trat.

c) Selbst wenn dem Verordnungsgeber gestattet wäre, einen derart grundrechtsrelevanten Bereich zu regeln, wäre der ihm zukommende Gestaltungsspielraum deutlich enger als der des Parlaments. Einzuhalten ist der Rahmen des Art. 80 Abs. 1 GG, nach dem Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen – vor diesem Hintergrund wird die Problematik einer derart weiten Generalklausel wie § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG nochmals besonders deutlich. Der Verordnungsgeber soll das Gesetz konkretisieren und den Rahmen ausfüllen, er muss den Zweckerwägungen folgen, die im ermächtigenden Gesetz angelegt sind, wobei gesetzlich vorgegebene Ziele weder ignoriert noch korrigiert werden dürfen und sachfremde Erwägungen zu unterlassen sind (BVerfG, Beschluss vom 23.7.1963 – 1 BvR 265/62 – BVerfGE 16, 332, 338 f.). Die vorliegende Ermächtigungsnorm ist eine solche aus dem Infektionsschutzrecht. Hieraus folgt, dass für den Verordnungsgeber allein infektionsschutzrechtliche Erwägungen maßgeblich sein können. Nicht infektionsschutzrechtlich begründete Erwägungen – seien es Gründe der Wirtschaftspolitik, des Umweltschutzes, der Regionalförderung oder auch der Sozial- oder Familienpolitik – gehen über diese Ermächtigung deutlich hinaus und würden, wären sie zulässig, dazu führen, dass nicht infektionsschutzrechtlich begründete Differenzierungen letztlich im Belieben des Verordnungsgebers stünden (so auch VGH Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 24). Auch die Frage, welche Teilbereiche des öffentlichen Lebens nach einem sog. “Lockdown” zuerst wieder stattfinden und wie dies ausgestaltet ist und welche einstweilen noch zurückstehen müssen, ist nicht (allein) infektionsschutzrechtlich zu beantworten und geht über die Ermächtigung des Verordnungsgebers damit klar hinaus (so tendenziell auch VGH Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 27, der die letztliche Klärung dieser Frage jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehält).

§ 3 Abs. 1 S. 1 CoronaVO Baden-Württemberg regelt die Frage, mit welchen Personen außerhalb der Angehörigen des eigenen “Haushalts” eine Person sich im öffentlichen Raum aufhalten darf und nennt die Angehörigen eines weiteren “Haushalts”. Bereits dieses Abstellen auf Personen, die einem Haushalt, zumeist also einer Familie oder familiären Personengruppe angehören, ist nicht rein infektionsschutzrechtlich begründet. Durch die Ausnahmen des Abs. 3 wird jedoch erst recht evident, dass der Verordnungsgeber umfassende Erwägungen aller möglichen Art angestellt hat, die nicht infektionsschutzrechtlich begründet sind (Aufrechterhaltung des Arbeits- und Dienstbetriebs, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Daseinsfür- oder -vorsorge und der medizinischen Versorgung, der Betrieb von Einrichtungen und die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit). Dies geht weit über das hinaus, was die Exekutive ohne jeglichen parlamentarischen Entscheidungsprozess auf sich gestellt regeln darf und hat mit dem Ausfüllen des vom Gesetzgeber gesteckten Rahmens nichts mehr zu tun. Natürlich muss auch die Exekutive Verhältnismäßigkeitserwägungen anstellen, jedoch ist hier der Gestaltungsspielraum klar überschritten, da eigene Entscheidungen getroffen werden, die weit in die Sachmaterie hineinreichen. Eine Verfassungswidrigkeit des § 3 CoronaVO ist aufgrund dessen ebenfalls gegeben.

d) Allgemein anerkannt ist außerdem der rechtsstaatliche Gedanke, dass das Recht für den Bürger ein verlässlicher und stabiler Ordnungsrahmen sein soll (vgl. statt vieler BeckOK GG/Huster/Rux, Art. 20 GG, Rn. 181). In modernen Rechtsordnungen besteht zwischen der Positivität des Rechts, das dessen Änderbarkeit einschließt, und dem Anspruch des Bürgers, dass ihm die Rechtsordnung eine gewisse Verhaltenssicherheit gewährleistet, ein Spannungsverhältnis. Dabei kann ein genereller Abwehranspruch gegen Veränderungen der Rechtslage nicht bestehen; vielmehr ist es grundsätzlich Sache der Bürger, ihr Verhalten an den geänderten rechtlichen Vorgaben auszurichten. Eine gewisse Beständigkeit und Verlässlichkeit des Rechts sind dabei jedoch unabdingbar. Der Bürger muss die Möglichkeit erhalten, sein Verhalten auf die Rechtsnormen einzustellen und die Folgen der Regelung müssen für den Normadressaten vorhersehbar und berechenbar sein. Eine solche Beständigkeit ist bei Gesetzen, die die großen Leitlinien vorgeben, naturgemäß eher zu erwarten als bei kleinteiligeren Verordnungen. Dies ist nicht nur ein weiteres Indiz dafür, dass derart eingriffsintensive und allumfassende Maßnahmen nicht durch Rechtsverordnung geregelt werden dürfen (s.o.) sondern auch ein Maßstab, an dem sich eine solche Rechtsverordnung wie die CoronaVO, die allumfassende Regelungen für sämtliche Lebensbereiche trifft, messen lassen muss. Hier handelt es sich gerade nicht um einen abgegrenzten Bereich, sondern um die Leitlinien für sämtliche Lebensbereiche, sodass eine Verlässlichkeit und Beständigkeit des Rechts hier in höherem Maße gefordert ist.

Die CoronaVO wurde seit dem Ersterlass der Verordnung vom 16.3.2020 bis zum Erlass der Nachfolgeverordnung vom 9.5.2020 allein acht Mal und das überwiegend im nicht einmal wöchentlichen Rhythmus (16.3., 17.3., 20.3., 22.3., 28.3., 9.4., 17.4., 23.4., 2.5.2020) und teils gravierend geändert. Besagte Nachfolgeverordnung vom 9.5.2020 wurde ihrerseits vier Mal geändert (16.5., 26.5., 9.6., 16.6.2020), bevor die CoronaVO vom 23.6.20 erlassen wurde. Diese wurde bis zum Erlass der CoronaVO vom 30.11.20 ebenfalls sechs Mal geändert (28.7., 22.9., 6.10., 9.10.,18.10., 1.11.2020). Auch die CoronaVO vom 30.11.20 befindet sich Stand heute schon in ihrer vierten Fassung (Änderungen vom 11.12.20, 15.12.20, 8.1.21, 13.2.21). Ausführungen zur Verlässlichkeit des Rechts erübrigen sich vor diesem Hintergrund, zumal die Änderungen teils gravierender Natur waren (Öffnung und Schließung verschiedenster Geschäfte, der Schulen, Aufenthaltsverbote, Ausgangssperren, Maskenpflichten, um nur einige Gebiete zu nennen). Wohl aus diesem Grund war nicht nur seitens der Polizeigewerkschaft, sondern auch seitens der geladenen Zeugen – im vorliegenden Fall eines Beamten des Polizeireviers Ludwigsburg – zu hören, dass teilweise nicht genau bekannt war, was zum jeweiligen Verstoßzeitpunkt erlaubt war und was verboten (DPolG-Landeschef: “Ich gehe davon aus, dass in der Tat viele Polizistinnen und Polizisten damit Probleme haben und enorme Kraft und Zeit aufwenden, um immer die wichtigsten Regeln zu kennen.” Es sei frustrierend, wenn […] der Durchblick bei den Vorschriften teils fehle. Vgl. zum Interview und der Thematik unübersichtlicher Regeländerungen den Bericht unter https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/polizei-bw-corona-100.html, zuletzt aufgerufen am 23.2.21).

Vom Bürger kann jedoch keine umfassendere Rechtskenntnis verlangt werden als von den das Recht durchsetzenden Behörden. Festzustellen ist, dass auch vor dem Hintergrund dieses zeitlichen Aspekts des Bestimmtheitsgebots die CoronaVO keinen Bestand haben kann.

3. Ein Rückgriff auf Vorgängerverordnungen als Konsequenz der Nichtanwendbarkeit der CoronaVO vom 9.5.20 ist vorliegend nicht möglich, da diese sämtlich auf der gleichen Rechtsgrundlage erlassen wurden und das oben zur Verfassungswidrigkeit Gesagte damit gleichermaßen gilt.

IV.

Selbst wenn man von einer Anwendbarkeit der CoronaVO vom 9.5.20 ausgeht, wäre der Betroffene aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, da das versetzte Vorbeilaufen am geparkten Streifenwagen bereits nicht als gemeinsamer Aufenthalt im öffentlichen Raum qualifiziert.

1. Mit dem AG Reutlingen (Urt. v. 3.7.20 – 5 OWi 26 Js 13211/20 – juris) ist davon auszugehen, dass ohnehin nur dann ein Verstoß gegen die Vorschrift gegeben sein kann, wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern unterschritten wird. Dies ergibt sich zwanglos aus der Zusammenschau mit S. 2 der Vorschrift. Dies ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme jedoch der Fall: zwar hat der Zeuge aufgrund seiner Ansicht, dass es auf den Abstand zwischen den Personen nicht ankäme, auf diesen nicht sein Hauptaugenmerk gerichtet – gleichwohl hat er besonders auf den gemeinsamen Aufenthalt im öffentlichen Raum geachtet, wobei die drei Personen ihm als Gruppe auffielen. Bei einem Abstand von 2-3 Metern, wie vom Betroffenen behauptet, wäre dies nicht der Fall gewesen. Außerdem hat der Zeuge auf Nachfrage explizit erklärt, die Personen seien ganz normal hintereinander gegangen, ein größerer Abstand wurde verneint. Das Gericht hat keinen Anlass, dem unbeteiligten Zeugen, der eine in sich stimmige Aussage frei von Belastungseifer tätigte, nicht zu glauben, zumal ein Abstand von 1,5 Metern recht erheblich ist und nicht mehr als “normales” Hintereinandergehen qualifiziert.

2. Gleichwohl ist ein gemeinsamer “Aufenthalt” im “öffentlichen Raum” nicht gegeben. Der Begriff des Aufenthalts ist extrem weit gefasst und bedeutet nach dem Duden die “zeitlich begrenzte Anwesenheit an einem Ort” (www.duden.de). Der Ort im Sinne der CoronaVO ist ausweislich des § 3 Abs. 1 S. 1 der öffentliche Raum, was in Konsequenz bedeuten würde, dass sich im gesamten öffentlichen Raum jeweils nur eine Person mit ihren Haushaltsangehörigen und einem weiteren Haushalt aufhalten dürfte. Dies geht jedoch offensichtlich zu weit und bedarf aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebots der Bestimmtheit einer konkretisierenden Auslegung.

Eingeschränkt wird die Norm bereits durch das Erfordernis der Unterschreitung des Abstands von 1,5 Metern, s.o. Auch hier bliebe es jedoch bei einer Ordnungswidrigkeit, wenn eine Person an einer Gruppe von mehreren Personen aus zwei verschiedenen Haushalten lediglich vorbeiliefe, ohne den Mindestabstand einzuhalten, z.B. an einer Engstelle. Denn bei einer Momentaufnahme befänden sich im öffentlichen Raum an einer bestimmten Stelle mehrere Personen unter Unterschreitung des Mindestabstands beieinander, die mehr als zwei Haushalten angehörten. Auch dies geht offensichtlich zu weit und liefe auch der Vorschrift selbst zuwider, die in § 3 Abs. 1 S. 2 vom Normadressaten fordert, zu anderen Personen im öffentlichen Raum wo immer möglich den Mindestabstand einzuhalten.

Zu fordern ist daher sowohl ein subjektives Element im Sinne des gemeinsamen Aufenthalts als auch ein zeitliches Moment, um eine uferlose Ausweitung des Tatbestands zu vermeiden und eine gewisse Trennschärfe zwischen den Personen des eigenen und eines weiteren Haushalts einerseits und den “anderen” Personen des S. 2 andererseits zu schaffen, zu denen ja nur bei entsprechender Möglichkeit – ein weiterer unbestimmter Rechtsbegriff – ein Mindestabstand einzuhalten ist.

Das Erfordernis des gemeinsamen Aufenthalts ergibt sich direkt aus der CoronaVO, der nicht nur in Abs. 1 die Formulierung im Kreis der Angehörigen […] verwendet, sondern in Absatz 3 differenzierungslos Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1 und 2 normiert und dabei (nur) die Begriffe “Veranstaltungen, Ansammlungen und sonstige Zusammenkünfte” verwendet. Diese Begriffe haben sämtlich gemeinsam, dass sie ein gewisses, wenn auch lockeres Miteinander voraussetzen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Begriff des Aufenthalts, der vorliegend als Oberbegriff verwendet wird, diesen Bezug nach dem Willen des Verordnungsgebers ebenfalls aufweisen soll.

Auch das zeitliche Element spielt beim Aufenthaltsbegriff jedoch nach dessen Definition eine Rolle, s.o. Erforderlich ist eine zeitlich begrenzte Anwesenheit an einem bestimmten Ort. Diese Zeitdauer ist in der Verordnung nicht bestimmt und muss durch verfassungskonforme Auslegung ermittelt werden. Würde die erste Sekunde bereits für eine Bußgeldbewehrung ausreichen, fielen hierunter auch – um nur einige Beispiele zu nennen – das Übergeben von Gegenständen im öffentlichen Raum an Personengruppen, das gemeinsame Einsteigen mehrerer Personen verschiedener Haushalte in einen privaten Pkw (der Pkw qualifiziert als nichtöffentlicher Raum, vgl. hierzu AG Stuttgart, Beschluss vom 8.9.20 – 4 OWi 177 Js 68534/20), das Verabschieden von Arbeitskollegen außerhalb der Arbeitsstätte bzw. das gemeinsame Verlassen derselben, die zufällige kurze Begegnung mehrerer Nachbarn auf der Straße oder das gemeinsame Warten mehrerer Personen an einer Fußgänger- oder Fahrradampel, sofern man diesen doch recht geringschwelligen gemeinsamen Zweck zur Tatbestandsverwirklichung ausreichen lässt.

Um den infektionsschutzrechtlichen Zweck der Verordnung zu wahren, ist eine zeitliche Eingrenzung nach der Ansteckungsgefahr sinnvoll, die sicherlich angesichts der allgemeinen Empfehlungen in geschlossenen Räumen mit ca. 10 Minuten vernünftig bemessen wäre, im vorliegenden Fall des Vorbeilaufens am Streifenwagen an der frischen Luft aber sicherlich nicht überschritten ist. Das spätere Nebeneinandergehen ist von der Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheids ohnehin nicht mehr umfasst.

Zudem bleibt der Vorsatz fraglich, obwohl dem Betroffenen das Aufenthaltsverbot bekannt war. Angesichts der oben gezeigten ständigen Veränderungen der CoronaVO und auch der Regelungen zum Aufenthalt im öffentlichen und nichtöffentlichen Bereich bleibt zweifelhaft, welcher Inhalt des Aufenthaltsverbots dem Betroffenen bekannt war und ob ihm die Differenzierung zwischen öffentlichem und nichtöffentlichem Raum (hier durften zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr als fünf Personen zusammenkommen, wobei es auch hier einen komplizierten Kanon von Ausnahmeregelungen zu beachten galt) geläufig war.

Somit war der Betroffene auch aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG.