SPD will Eigenanteil bei Pflegekosten einfrieren

Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Angesichts der drohenden Mehrkosten in der Pflege fordert die SPD eine Kehrtwende bei der Finanzierung und will den Eigenanteil der Pflegebedürftigen einfrieren. "Wir müssen das System umdrehen. Der Eigenanteil muss gedeckelt werden, alle künftigen Kostensteigerungen müssen dann von der Pflegeversicherung bezahlt werden", sagte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles "Bild am Sonntag".

Das derzeitige System deckelt die Zahlungen der Pflegeversicherung. Alle Kostensteigerungen werden durch einen höheren Eigenanteil auf die Pflegebedürftigen umgelegt. Im Durchschnitt zahlt jeder Pflegefall 618 Euro dazu. Nahles: "Der Eigenanteil schwankt erheblich von Region zu Region. Die Pflege in Hamburg ist teurer als in Sachsen-Anhalt. Wir wollen deshalb keinen bundesweiten Festbetrag, sondern den Status quo festschreiben. Damit jeder Pflegebedürftige sicher sein kann, dass es für ihn nicht teurer wird." Für die Parteivorsitzende geht es darum, "die Kosten fair zu verteilen". Sie warnt, dass das aktuelle "System so nicht mehr lange funktioniert". Nahles: "Viele Menschen haben Angst, dass ihnen die Pflegekosten über den Kopf wachsen oder dass das gesamte Ersparte eines ganzen Lebens innerhalb von zwei Jahren auf Null schrumpft, weil es für den Eigenanteil der Pflege draufgeht." Dies sei auch der Grund dafür, dass massenweise osteuropäische Pflegekräfte illegal zuhause angestellt würden. Als Sofortmaßnahme will die SPD in der Koalition durchsetzen, dass selbst bewohnte Immobilien bei den Pflegekosten künftig zum Schonvermögen zählen. "Am meisten Panik haben die Menschen davor, auch ihr Zuhause zu verlieren. Da müssen wir als Erstes ran. Selbst genutztes Wohneigentum müssen wir künftig schützen. Niemand soll mehr wegen der Pflegekosten sein Häuschen verkaufen müssen. Das möchte ich noch vor der nächsten Bundestagswahl mit der Union durchsetzen", so Nahles. Die Reform der Pflegekosten ist Teil des neuen Sozialstaatskonzept der SPD. Am Montag soll der Parteivorstand die Pläne beschließen. Im Koalitionsvertrag ist die "Kehrtwende bei der Kostenverteilung" bislang nicht vereinbart. Nahles zeigte sich aber hinsichtlich der Verhandlungsbereitschaft der Union zuversichtlich, weil der Druck in der Bevölkerung steigen werde angesichts der Kostensteigerungen. In dem SPD-Konzept sollen die künftigen Mehrkosten für die Pflegeversicherung mit drei Maßnahmen finanziert werden: Als zentrale Idee wollen die Genossen private und gesetzliche Versicherungen zusammenlegen und so in der Pflege die Bürgerversicherung schaffen. Nahles: "Das hilft dem Gesamtsystem, weil die Privaten wegen der höheren Gehälter ihrer Versicherten mehr Beiträge einnehmen." Außerdem sollen die Krankenkassen die Pflege, die nur aus medizinischen Gründen erfolgt, künftig bezahlen und es soll einen Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt geben. Steuererhöhungen seien allerdings nicht nötig, so Nahles. Der Pflegenotstand ist laut Nahles nur durch entschlossenes Handeln der Regierung zu verhindern: "Wir müssen ganz dringend den Pflegeberuf attraktiver machen. Die Wertschätzung für die rund 1,1 Millionen Pflegekräfte entspricht nicht der Leistung, die sie erbringen." Nahles kritisierte die geringen Gehälter und forderte, dass endlich jede Pflegekraft ordentlich nach Tarif bezahlt werden müsse. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass demnächst ein Arbeitgeberverband aus kirchlichen Trägern und Wohlfahrtsverbänden gegründet werde: "Wir kommen gut voran." Ein solcher Arbeitgeberverband und ein repräsentativer Tarifvertrag in der Pflege sind die Voraussetzung dafür, dass Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Löhne für allgemeinverbindlich erklären kann. "Das Lohndumping mancher Träger hätte dann endlich ein Ende", so Nahles. Was Pflege bedeutet hat die SPD-Vorsitzende in der eigenen Familie erlebt: "Meinen Opa, der 87 geworden ist, haben wir in der Familie bis zuletzt gepflegt. Da haben alle mitgeholfen. Mein Vater hat damals noch gelebt. Er war der einzige, der stark genug war, ihn jeden Abend die Treppe ins Schlafzimmer hoch zu tragen." Es müssten immer viele Dinge zusammenkommen, damit Pflege zuhause überhaupt gehe. Persönlich möchte Nahles im Alter so lange wie möglich im eigenen Zuhause leben. "Aber ich würde nicht erwarten, dass meine Tochter mich pflegt", so die Mutter eines achtjährigen Mädchens. "In einer Gesellschaft, in der die Kinder oft weit entfernt leben und Frauen viel öfter berufstätig sind als früher, muss sich jeder Bürger auf professionelle Pflege verlassen können."