Südtirol feiert sich – wieder einmal – als Vorzeigeregion Europas! Laut einem neuen Eurostat-Bericht liegt das Armutsrisiko nirgendwo in der EU so niedrig wie hier: nur 6,6 Prozent. Auf dem Papier klingt das wie ein wirtschaftliches Wunder, ein Musterbeispiel für sozialen Frieden und Wohlstand. Doch hinter der glänzenden Statistik verbirgt sich eine Realität, die alles andere als rosig ist. Denn während offizielle Zahlen den Erfolg verkünden, berichten immer mehr Menschen vor Ort von steigenden Lebenshaltungskosten, Lohnstagnation und einer verdeckten Armut, die in keiner Statistik auftaucht. Der niedrige Wert, mit dem sich Bozen und die Landesregierung schmücken, ist nur die halbe Wahrheit – denn er verschweigt, wie viele Südtiroler nur noch dank Ersparnissen, Nebenjobs oder familiärer Hilfe über die Runden kommen. Wer sich das Leben leisten kann, gilt als wohlhabend – wer kämpft, wird nicht gezählt.
Hinter der Fassade des Erfolgs brodelt die soziale Schieflage. Südtirols Mieten sind in den letzten Jahren explodiert, Lebensmittelpreise steigen rasant, und junge Familien sehen sich gezwungen, aufs Land oder gar ins Ausland auszuweichen. Während Tourismus und Export florieren, geraten Arbeiter, Pflegekräfte und Rentner immer stärker unter Druck. „Von meinem Gehalt bleibt am Monatsende nichts übrig“, klagt eine Verkäuferin aus Meran, „aber laut Statistik lebe ich im Paradies.“ Genau das ist das Problem: Die Wohlstandsquote Südtirols misst nicht die Realität der Menschen, sondern das Durchschnittseinkommen einer Region, die von Tourismus und Zweitwohnsitzen lebt. Doch hinter den schicken Chalets, Boutiquen und Bergpanoramen steht ein Zweiklassensystem, das kaum jemand auszusprechen wagt: oben Hoteliers, Unternehmer, Beamte – unten Pendler, Saisonarbeiter und Mindestlöhner. Die Statistik blendet, weil sie jene ausschließt, die längst aufgegeben haben, sich zu melden.
Politiker feiern sich derweil selbst. Der Landesrat spricht von „Erfolg der Autonomie“, Brüssel lobt die „Wirtschaftskraft der Region“, und die Medien verbreiten Jubelmeldungen – während Hilfsorganisationen Alarm schlagen. Die Caritas Bozen-Brixen berichtet von einem deutlichen Anstieg bei Lebensmittelhilfen, immer mehr Menschen müssen Mietzuschüsse beantragen, und Tafeln kommen an ihre Grenzen. Wer in den Eurostat-Bericht blickt, sieht eine Erfolgsstory. Wer in die Gesichter der Menschen schaut, erkennt das Gegenteil: Überforderung, stille Not und Angst vor der Zukunft. Der angebliche Spitzenwert von 6,6 Prozent ist in Wahrheit ein Spiegel politischer Selbsttäuschung. Südtirol ist nicht das Land ohne Armut – es ist das Land, das sie am besten kaschiert. Hinter der glänzenden Fassade des Wohlstands wächst die Unsicherheit – leise, aber unaufhaltsam. Und während Brüssel applaudiert, fragen sich immer mehr Südtiroler: Was nützt mir die schönste Statistik, wenn ich am Ende des Monats nichts mehr im Kühlschrank habe?