Hessen: Offener Brief: „Schonzeiten – Tierschutz – Jägerlatein“!

 

 

 

Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz,         06.04.2017

Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Frau Ministerin Priska Hinz

Mainzer Str. 80 

65189 Wiesbaden

 

Tierschutzverein

TierfreundLich e.V.

Gottlieb-Daimler-Str. 4

35423 Lich

Tel.: 0160-2980995

info@tierfreund-lich.de

 

 

 

Offener Brief:

„Schonzeiten – Tierschutz – Jägerlatein“

 

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Hinz,

sehr geehrte Damen und Herren,

wir nehmen Bezug auf den Erlass der Obersten Jagdbehörde vom 27.01.2017 und die aktuelle Kampagne des LJV Hessen zur Aufhebung der Schonzeit für Waschbären und andere Wildtiere.

Kein Frieden im befriedeten Bezirk?

In dem Erlass wird ausgeführt, dass die Jagd- und Schonzeiten nicht für befriedete Bezirke gelten würden und der Fang (verbunden mit der Tötung) von Wildkaninchen und Beutegreifern – besonders von Waschbären – durch die Grundstückseigentümer oder die Nutzungsberechtigten (Mieter, Pächter) weiterhin ganzjährig möglich sei.

Der Erlass vom 27.01.2017 ignoriert allerdings nicht nur – die Schonzeitenregelung der hessischen Jagd-VO von Dezember 2015,

– die gesetzlichen Bestimmungen des TierSchG (§§ 1, 17 TierSchG),

– die gesetzlichen Bestimmungen des BGB (§§ 90a, 903 BGB) sondern

– wirft auch die Frage nach der Kompetenz der Jagdbehörden zur Regelungsbefugnis außerhalb des Jagdrechts auf.

Nach § 6 BJagdG ruht die Jagd auf Grundflächen, die zu keinem Jagdbezirk gehören und in befriedeten Bezirken (z. B. Wohngebiete, Spielplätze). Weil das Jagdrecht aber nur in Jagdbezirken ausgeübt werden darf (§§ 3, 4 BJagdG), kann eine Jagdbehörde auch keine Regelung außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches diktieren – die Abteilung Waffenbeschaffung im Verteidigungsministerium ist auch nicht für die Ausgestaltung von Kinderspielplätzen zuständig.

2 Schonzeiten haben mit Tierschutz zu tun: Nicht umsonst hatte die Hessische Landesregierung die Schonzeiten für Wildtiere ausgeweitet bzw. erstmals neu geregelt. Nun wird diese Regelung ausgerechnet im befriedeten Bezirk (10 % der Fläche in Hessen – 90 % sind Jagdbezirke) ausgehebelt, weil das HJagdG jedem Bürger ohne Jagdschein, dafür aber mit ausreichendem Killerinstinkt, die Möglichkeit eröffnet – nach Belieben und völlig unkontrolliert – hoch entwickelte Säugetiere in seiner Wohnung und/oder Garten fangen und töten zu dürfen. Wie er das macht, bleibt dem Hausbewohner oder Gartenpächter selber überlassen, wenn er nicht gerade eine Schusswaffe einsetzt!

§ 5 Abs. 3 HJagdG ist antiquiert und ein Relikt aus der Zeit, als der Tierschutz noch keinen Verfassungsrang hatte, was allerdings 2002 geändert wurde: Der Tierschutz ist seit 15 Jahren als Staatsziel in Artikel 20a GG verankert – im Gegensatz zum Recht von Privatpersonen, in ihrer Freizeit jagen zu dürfen. Obwohl Artikel 20a GG alle staatlichen Organe bindet, hat es die Hessische Landesregierung bisher versäumt, den verfassungswidrigen § 5 Abs. 3 HJagdG ersatzlos zu streichen – im BJagdG kommt diese absurde und tierschutzwidrige Regelung sowieso nicht vor.

Keine Schonzeiten im Jagdrevier?

Obwohl der Erlass vom 27.01.2017 die Schonzeitenregelung für Waschbären im Siedlungsbereich aufhebt, wird von Seiten des Landesjagdverbandes und seiner Jagdvereine in einer groß angelegten Pressekampagne (Anlage) weiter gehetzt, um auch noch die Aufhebung der Schonzeiten nach § 2 der Hessischen Jagd-VO durchzusetzen. In der Pressemitteilung des LJV Hessen vom 28.02.2017 „Die Waschbären sind los“ fordert der Präsident des LJV Hessen „… die hessische Umweltministerin Priska Hinz mit Nachdruck dazu auf, die Schonzeiten für Waschbären, unter Beachtung des Elterntierschutzes, sofort aufzuheben.“, weil die Schonzeit „… für viele Hausbesitzer eine Katastrophe …“ sei. Herr Görig, jagdlich ambitionierter Landrat im Vogelsbergkreis, forderte gar anlässlich der Messe „Jagen – Reiten – Fischen – Offroad“ am 10.03.2017 in Alsfeld öffentlich dazu auf, dass „… bei Privatleuten gefangene Waschbären nach Wiesbaden ins Umweltministerium gebracht werden … sollen“, damit Umweltministerin Priska Hinz direkt mit den „Problemen“ konfrontiert werde.

Abgesehen von diesen wenig respektvollen Aufforderungen ist die ganze Kampagne eine einzige Mogelpackung, denn es werden keine verifizierbaren Daten sondern „alternative Fakten“ veröffentlicht und verbreitet. Den Faktencheck finden Sie in Anlage I.

3 Tierschutz – bloß ein jagdliches Feigenblatt?

Wenn der Hetzkampagne Glauben geschenkt und die Schonzeit für Waschbären tatsächlich wieder aufgehoben würde, treten Situationen ein, von denen jede für sich den sogenannten „Elterntierschutz“ zur Makulatur werden lässt:

Szenario 1: Waschbärinnen mit bis zu 8 Wochen alten Welpen werden nicht als Muttertiere erkannt und erlegt – mit der Folge, dass die Welpen verhungern.

Szenario 2: Nach 8 Wochen reiner Säugezeit verlässt die Waschbärin erstmals gemeinsam mit ihren Welpen die Wurfhöhle. Werden die Welpen dann zuerst erlegt, kann auch das Muttertier getötet werden.

Szenario 3: Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Durchführung der EU-VO 1143/2014 kann durch den neu eingefügten § 28a Abs. 3 BJagdG der Elterntierschutz für als „invasiv“ eingestufte Arten „aus Gründen der Landeskultur“ aufgehoben werden. Diese Gründe versucht der LJV Hessen gerade mit seiner Kampagne zu nachzuweisen.

Die Forderung von Prof. Dr. Ellenberger nach einer ganzjährigen Fangjagd, also dem ganzjährigen Einsatz von Fallen – Totschlagfallen eingeschlossen – führt nicht nur zum Fangen und Töten von Muttertieren, sondern auch dazu, dass andere Wildtiere wie Fuchs, Marder, Wildkatze und Igel aber auch Hauskatzen getötet werden. Die ganzjährige Fallenjagd ist tierschutzwidrig, auch wenn sie als Schutzmaßnahme für Junghasen und Bodenbrüter oder gar als Maßnahme zur Hilfe für Waschbär-geplagte Hausbesitzer in Nordhessen verkauft wird (siehe Faktencheck!).

§ 5 Abs. 3 HJagdG ist skandalös – der Erlass vom 27.01.2017 ebenfalls. Skandalös sind auch die Forderungen des LJV und skandalös wäre auch die Rücknahme der Schonzeitenregelung, weil Freizeitjäger mit falschen Behauptungen Druck auf die Landesregierung ausüben.

Wir bitten Sie dringend um eine Klarstellung bezüglich der Schonzeiten im Wohnbezirk und um einen Gesprächstermin – gerne in unserer Tierauffang- und Quarantänestation. Die Zeit drängt, denn es ist gerade die Zeit der Tiergeburten und der Aufzucht der Tierbabys, weshalb wir auf Ihre schnelle Antwort hoffen.

Tierschutzverein

TierfreundLich e.V.

Für das Vorstandsteam

Dr. Cornelia Konrad

Anlagen Tierschutz Offener Brief Schonzeiten – Tierschutz – Jägerlatein 1.0