Strafrechtsparagrafen 219a
Nach dem zähen Ringen um die Abschaffung des Paragrafen 219a hat sich die große Koalition auf einen Kompromiss geeinigt. Aus dem Gesetzesentwurf geht hervor, dass Ärzte und Krankenhäuser künftig darauf hinweisen dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Für weitere Informationen müssen Mediziner jedoch an staatliche Stellen verweisen. Außerdem soll es eine zentrale Liste mit Ärzten geben, die Abtreibungen vornehmen. Diese minimalen Verbesserungen täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass das Informationsverbot für Ärzte bestehen bleibt, ebenso wie die Strafandrohung von zwei Jahren Gefängnis. Der umstrittene Paragraf, der Werbung für Abtreibungen verbietet, bleibt bestehen und soll lediglich ergänzt werden. Anstatt mit einer Streichung des Paragrafen Rechtssicherheit für Ärzte zu erreichen, will die Bundesregierung die Informationsmöglichkeiten von Ärzten also weiter einschränken. Deshalb handelt es sich bei dem Kompromiss in Wahrheit um einen Sieg der Abtreibungsgegner. Einer kleinen, fundamentalen Gruppe von Menschen, die seit Jahren Ärzte terrorisiert und mit Strafanzeigen überhäuft. Das Beispiel der Gießener Ärztin Kristina Hänel zeigt, welche Macht diese selbst ernannten Lebensschützer in Deutschland haben. Hänel ist zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt worden, weil sie auf ihrer Homepage angegeben hatte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt und welche Methoden möglich sind. Sollte der Gesetzentwurf tatsächlich verabschiedet werden, bleibt die Homepage von Hänel weiter strafbar, obwohl sie Frauen lediglich informiert. Diese Stimmung wird aktuell auch von Kirchenvertretern angeheizt. Der Paderborner Moraltheologe Peter Schallenberg kommentierte die Demonstrationen Tausender Gegner des Paragrafen am Wochenende mit dem Begriff Kaltschnäuzigkeit. Schallenberg, der den Vatikan in Sozialfragen berät, wirft den Demonstrantinnen, die in einer aufgeklärten Gesellschaft selbstbestimmt und mit uneingeschränktem Zugang zu allen relevanten Informationen entscheiden wollen, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen möchten oder nicht, vor, dass sie das Selbstbestimmungsrecht von lebenden Menschen gegen das Lebensrecht von Ungeborenen ausspielen. Solange die Diskussion weiter so unsachlich geführt wird und der Paragraf bestehen bleibt, werden Ärzte kriminalisiert und Abbrüche tabuisiert. Die Folge: Die Bereitschaft junger Ärzte, Abbrüche vorzunehmen, sinkt. Die Zahl der Einrichtungen, die Abbrüche vornehmen, ist seit 2003 um 40 Prozent eingebrochen. Diese Entwicklung gefährdet die Versorgung und damit das Leben vieler Frauen.
Neue Westfälische