Steuergelder: Fahnder sind neuem Steuerraubzug auf der Spur!

Steuerraubzug

 

Die Staatsanwaltschaft Köln geht einer bislang unbekannten Masche 
nach, mit der womöglich Banker und Aktienhändler Millionen deutscher 
Steuergelder ergaunerten. Nach Recherchen von WDR und "SZ" soll der 
Trick auf Phantom-Papieren basieren. Das Bundesfinanzministerium 
versucht jetzt aufgrund der Recherchen die Notbremse zu ziehen. 
Eigentlich hatte die Bundesregierung geglaubt, sie habe den größten 
Steuerraubzug der Bundesgeschichte gestoppt. Das waren die 
sogenannten "Cum-Ex"-Geschäfte, mit denen sich Banker, Aktienhändler 
und reiche Investoren in den Jahren vor 2012 geschätzte 30 Milliarden
an Steuern erstatten ließen, die sie anscheinend nie gezahlt hatten. 
Milliardensummen, die für Kindergärten, bezahlbare Wohnungen und 
Internetleitungen fehlten. Seitdem treibt nicht nur Finanzminister 
Olaf Scholz die Frage um: Haben Finanzjongleure einen neuen Weg 
gefunden, um die deutschen Staatskassen weiter zu plündern?

Nach Recherchen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" ist die 
Staatsanwaltschaft Köln nun tatsächlich einer Masche auf der Spur, 
die seit Jahren in Deutschland und anderen Ländern möglich ist. 
Banker und Aktienhändler sollen sie zusammen mit finanzstarken 
Investoren betrieben haben. Die Fahnder haben ein 
Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitarbeiter einer Bank in 
Deutschland eingeleitet. Der Verdacht: Steuerbetrug in ganz großem 
Stil. Die Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage das 
Ermittlungsverfahren.

Das Bundesfinanzministerium zeigte sich nach Konfrontation mit den 
WDR/SZ-Recherchen alarmiert - und hat daraufhin sofort erste 
Konsequenzen gezogen. Am vergangenen Donnerstag hat das Ministerium 
per Erlass vorsorglich sogar ein digitalisiertes Erstattungsverfahren
gestoppt, das es potentiellen Kriminellen bis dato besonders leicht 
gemacht haben könnte, in die Staatskasse zu greifen. Aus dem BMF 
heißt es, man habe die zuständigen Stellen in den Bundesländern 
umgehend angewiesen, zur Aufklärung beizutragen. Auch internationale 
Partner habe man um Mithilfe gebeten. Ziel sei eine umfassende 
Aufarbeitung des Verdachtsfalls.

Konkret geht es um Geschäfte mit "American Depositary Receipts" 
(ADR). Das sind Papiere, die von Banken ausgestellt und in den USA 
stellvertretend für ausländische Aktien gehandelt werden. 
Normalerweise muss jedem ADR-Papier eine echte Aktie zugrunde liegen.
Laut der amerikanischen Finanzaufsicht SEC wurde mit den Papieren 
jedoch jahrelang Schmu getrieben. Großbanken und Aktienhändler wird 
demnach vorgeworfen, Millionen von ADR-Papieren herausgegeben zu 
haben, die nicht mit einer echten Aktie hinterlegt waren, sogenannte 
Pre-released-ADRs. Mit diesen Schein-Papieren, so der Verdacht, 
sollen sich die Akteure außerhalb der USA Steuererstattungen 
erschlichen haben. Auch in Deutschland. 
Dabei haben die Akteure für die Schein-Papiere womöglich niemals 
echte Dividenden bekommen - und entsprechend auch nie Steuern 
gezahlt. Die Beute, also die illegale Steuererstattung, sollen sich 
Banker, Aktienhändler und Investoren laut SEC anschließend 
untereinander aufgeteilt haben. Die Zeche hätten die ehrlichen 
Steuerzahler gezahlt. Dies erinnert an die inzwischen verbotenen 
Cum-Ex-Geschäfte. Cum-Fake statt Cum-Ex.

WDR und SZ legten einem Finanzexperten die Rechercheergebnisse vor, 
der jahrelang selbst in Cum-Ex-Geschäfte involviert war. Die Masche 
sei eine "Bombe" und habe das Potenzial, Steuererstattungen im großen
Umfang und in ganz Europa zu ermöglichen. "Der Sumpf ist nicht 
trocken, das Wasser ist nur woanders hingeflossen." Die Geschäfte 
seien eine Weiterentwicklung der "Cum-Ex Gelddruck-Maschine". Anders 
als damals bei "Cum-Ex", bräuchten Betrüger keine echten Aktien mehr,
um sich Steuern erstatten zu lassen, die sie nie gezahlt hatten. Die 
Schein-Papiere seien nicht von echten zu unterscheiden. "Als könne 
man selbst mittelbar echtes Geld ausdrucken." 
Entsetzt zeigte sich auch der Finanzexperte der Grünen im Bundestag, 
Gerhard Schick. Es sei naiv gewesen zu glauben, dass mit der 
gesetzlichen Regelung von 2012 alles beseitigt wäre. Der 
"Cum-Fake"-Trick sei clever. "Das ist erschreckend, wie viel 
kriminelle Energie dahinter steckt."
Hinweise auf die Cum-Fake-Geschäfte findet man auch bei der 
amerikanischen Finanzaufsicht SEC. Dort nahmen die US-Fahnder die 
erste Spur schon 2014 auf. Ein Informant hatte den Aufsehern 
mitgeteilt, dass mit ADRs illegale Geschäfte betrieben würden. 
Die Ermittlungen der SEC brachten inzwischen Unglaubliches zu Tage 
und kamen einigen Banken teuer zu stehen. Bisher sind mehr als 173 
Millionen Dollar an Rückzahlungen und Strafen wegen der 
Scheingeschäfte geflossen. Ermittlungen gegen US-Großbanken laufen 
noch. Die US-Tochter der Deutschen Bank stimmte im Juli einem 
Vergleich zu. Sie überwies 75 Millionen Dollar wegen unsauberer 
Handhabung von ADRs in den Jahren 2011 bis 2016. 
Das Unternehmen betonte auf Anfrage, man habe im Jahr 2014 aufgehört,
die fragwürdigen Papiere um den Dividendenstichtag auszugeben, "weil 
es Bedenken zu potentiellem Missbrauch gab." Schließlich habe man die
Bedenken der SEC zum Anlass genommen, die noch verbliebenen Geschäfte
mit den Papieren im Jahr 2016 komplett zu beenden.
Was mit "potentiellem Missbrauch" gemeint sein könnte, brachten die 
SEC-Ermittler ebenfalls zu Papier - quasi als "Beifang" ihrer 
ursprünglichen Ermittlungen. Ihnen fielen E-Mails und Excel-Tabellen 
in die Hände, aus denen hervorging, wofür die Schein-Papiere offenbar
genutzt worden sein sollen. Genau zu jenem Zeitpunkt, als die 
Dividende fällig wurde, seien die Schein-Papiere bei steuerlich 
Begünstigten gelandet. Beispielhaft rechneten die Aufseher vor, wie 
die Beute, also die ausländische Steuer, unter allen Akteuren 
aufgeteilt wurde. Nach dem Geschäft - so der Verdacht - verschwanden 
die Schein-Papiere wie von Zauberhand wieder dort, wo sie einst 
erstellt wurden, bei Depotbanken wie einer US-Tochter der Deutschen 
Bank. Das Perfide: Da die Deals in den USA abgewickelt wurden, waren 
sie für europäische Steuerbehörden nicht einsehbar.
In Deutschland zeigte sich nach Informationen von WDR und SZ 
inzwischen eine Bank einsichtig. Bei der aktuellen Betriebsprüfung 
habe das Geldhaus dem Finanzamt freiwillig gebeichtet, man könne 
nicht allen gehandelten ADR-Papieren auch wirklich eine Aktie 
zuordnen. Einen Schaden, der dem deutschen Fiskus dadurch entstanden 
sein könnte, wolle das Geldhaus begleichen, heißt es aus 
Bankenkreisen.
Wie hoch der mögliche Schaden für den Fiskus liegen könnte, lässt 
sich nicht beziffern. Das Bundeszentralamt für Steuern führt eigenen 
Angaben zufolge keine Statistik darüber, wie viele 
Kapitalertragssteuern für ADRs erstattet werden. Die Recherchen legen
jedoch den Verdacht nahe, dass auch mit der neuen Masche 
Milliardengeschäfte betrieben wurden und fragwürdige 
Steuererstattungen in dreistelliger Millionenhöhe geflossen sein 
könnten.
Finanzminister Scholz hatte vor kurzem erklärt, nach Cum-Ex komme es 
jetzt darauf an zu verhindern, dass nicht neuerliche Versuche der 
aggressiven, grenzüberschreitenden Steuerbetrügereien erfolgten. "Ich
habe das Bundesfinanzministerium deshalb angewiesen, jeglichen 
Hinweisen auf solche Geschäfte nachzugehen." Er wolle zudem besser 
mit den europäischen Nachbarn kooperieren. 
Nun wird seine Behörde den Blick auch über den Atlantik richten 
müssen.


 

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