Miami/Atlantik – Während sich an der Küste Floridas Millionen Menschen auf die Ankunft des bedrohlichen Hurrikans „Valerie“ vorbereiten, steuert eine kleine Gruppe von Piloten und Wissenschaftlern ihr Flugzeug absichtlich in das Herz der Bestie. Aus der Ferne wirkt es wie ein selbstmörderisches Unterfangen, ein Akt puren Wahnsinns. Doch für die „Hurricane Hunters“ der amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA ist es eine lebenswichtige und exakt kalkulierte Routine.
Ein Video aus dem Cockpit der Lockheed WP-3D Orion, liebevoll „Kermit“ genannt, zeigt apokalyptische Szenen. Wasser peitscht waagerecht gegen die Scheiben, die Tragflächen biegen sich unter der Last extremer Turbulenzen, und die Instrumente warnen vor Windgeschwindigkeiten von über 240 km/h. Das Ziel der Crew: die Eyewall, der Ring aus den stärksten Gewittern des Hurrikans, zu durchbrechen, um in das ruhige Auge im Zentrum des Sturms zu gelangen.
Warum dieser lebensgefährliche Einsatz?
Die Antwort ist einfach: Leben retten. Satelliten können zwar die Position und das Aussehen eines Hurrikans von oben erfassen, aber sie können nicht in sein Inneres blicken. Um die wahre Stärke eines Sturms zu messen und seine Zugbahn präzise vorherzusagen, benötigen Meteorologen Daten direkt aus dem Zentrum. „Wir fliegen dorthin, wo die Daten sind“, erklärt ein Pilot der Mission. „Und die wichtigsten Daten, wie der exakte Luftdruck am Boden, befinden sich im Auge. Dieser eine Wert kann den Unterschied zwischen einer korrekten und einer falschen Intensitätsvorhersage ausmachen – und damit über Evakuierungsentscheidungen für Millionen Menschen.“
Während des mehrstündigen Fluges durch den Hurrikan wirft die Crew zylinderförmige Sonden, sogenannte Dropsonden, ab. Diese sind mit GPS und Sensoren ausgestattet und senden auf ihrem Weg zur Meeresoberfläche im Sekundentakt Daten über Luftdruck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit an das Flugzeug. Diese Informationen werden in Echtzeit an das National Hurricane Center in Miami übermittelt und fließen direkt in die Computermodelle zur Vorhersage ein. Die Genauigkeit der Prognosen verbessert sich durch diese Missionen um bis zu 30 Prozent.
Keine gewöhnlichen Flugzeuge, keine gewöhnlichen Piloten
Die Flugzeuge der Hurricane Hunters sind fliegende Festungen. Die WP-3D Orion und die WC-130J „Super Hercules“ der US Air Force Reserve sind speziell verstärkt, um den enormen Kräften standzuhalten. Wetterradar in Nase, Rumpf und Heck tasten den Sturm permanent ab, damit die Piloten die gefährlichsten Konvektionszellen umfliegen können.
Die Piloten selbst gehören zu einer absoluten Elite. Sie durchlaufen ein jahrelanges Training, um zu lernen, wie man ein Flugzeug in Bedingungen steuert, die jeden normalen Piloten zur sofortigen Umkehr zwingen würden. Für sie ist der Flug durch die Eyewall zwar extrem anspruchsvoll, aber kein unkontrolliertes Risiko.
Was für den Laien also wie purer Wahnsinn aussieht, ist in Wahrheit eine hochprofessionelle wissenschaftliche Mission am Limit des technisch und menschlich Machbaren. Es ist ein kalkulierter Höllenflug, der jedes Jahr unzählige Leben an den Küsten Amerikas rettet und dem Chaos der Natur mit kühler Präzision begegnet.