Brüssel/Wien – Die Europäische Union sieht sich mit scharfer Kritik an ihrer millionenschweren Förderung für Forschungsprojekte zum Islam konfrontiert. Während Kritiker aus mehreren Mitgliedsstaaten, angeführt von österreichischen Politikern, der EU vorwerfen, unter dem Deckmantel der Wissenschaft den „politischen Islam“ zu fördern, verteidigt die EU-Kommission die Finanzierung vehement. Es handele sich um unerlässliche Forschung zur Bekämpfung von Extremismus und zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Im Zentrum der Kontroverse stehen mehrere Forschungsprojekte, die im Rahmen des EU-Forschungsrahmenprogramms „Horizon Europe“ mit erheblichen Summen unterstützt werden. Insbesondere ein Projekt, das sich mit der Resilienz gegenüber gewalttätigem Extremismus befasst und an dem der umstrittene Forscher Lorenzo Vidino beteiligt war, sorgt für Zündstoff. Kritiker werfen Vidino und anderen geförderten Wissenschaftlern vor, Verbindungen zur Muslimbruderschaft zu verharmlosen und eine agenda-getriebene Forschung zu betreiben.
Der Vorwurf: „Steuergelder für Islamisten?“
Die schärfsten Angriffe kommen aus Österreich. Die dortige Regierungspartei ÖVP, insbesondere Integrationsministerin Susanne Raab, prangert die Förderpraxis der EU seit Längerem an. Man habe die EU-Kommission mehrfach auf die problematische Natur einiger Projekte hingewiesen. „Es kann nicht sein, dass europäische Steuergelder für Studien ausgegeben werden, die den politischen Islam relativieren oder sogar Akteuren aus diesem Spektrum eine Plattform bieten“, so ein Sprecher der Ministerin.
Diese Kritik wird von Politikern aus dem konservativen und rechten Spektrum in anderen EU-Ländern geteilt. Die zentrale Befürchtung ist, dass die Forschung nicht ergebnisoffen stattfindet, sondern dazu dient, eine bestimmte politische Agenda zu legitimieren und die Gefahren, die von radikalen islamistischen Netzwerken in Europa ausgehen, herunterzuspielen. Die Forderung lautet daher, die Förderkriterien drastisch zu verschärfen und die Mittelvergabe transparenter zu gestalten.
Die Verteidigung der EU-Kommission
In Brüssel weist man die Vorwürfe entschieden zurück. Ein Sprecher der EU-Kommission betonte auf Anfrage, dass alle geförderten Projekte einem strengen und wettbewerblichen Auswahlverfahren unterliegen, das von unabhängigen Experten durchgeführt wird. Das Ziel der Forschung sei es, „Phänomene wie Radikalisierung, soziale Polarisierung und Extremismus besser zu verstehen, um ihnen auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen entgegenwirken zu können.“
Die Kommission argumentiert, dass ein pauschaler Verdacht gegen die Islamforschung kontraproduktiv sei. Man benötige fundierte Analysen über die vielfältigen Strömungen innerhalb des Islam in Europa, um Präventionsarbeit leisten und eine erfolgreiche Integrationspolitik gestalten zu können. Das Verbot bestimmter Forschungsansätze oder der Ausschluss von Wissenschaftlern aufgrund politischer Anschuldigungen sei mit dem Prinzip der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar. Man sei jedoch bereit, jeden begründeten Hinweis auf einen Missbrauch von EU-Geldern zu prüfen.
Die Debatte wirft ein Schlaglicht auf den fundamentalen Konflikt zwischen politischer Kontrolle und wissenschaftlicher Unabhängigkeit. Während die eine Seite eine strengere Aufsicht fordert, um die ideologische Vereinnahmung der Forschung zu verhindern, warnt die andere vor einer gefährlichen Politisierung der Wissenschaft. Der Streit um die Islam-Millionen aus Brüssel ist somit weit mehr als eine finanzielle Frage – es ist ein Kampf um die Deutungshoheit in einem der sensibelsten gesellschaftlichen Felder Europas.