Kiew, 12. März 2025 – Im dritten Jahr des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine steht die ukrainische Armee vor einer neuen Herausforderung: massenhafte Fahnenflucht. Laut der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft wurden seit Kriegsbeginn im Februar 2022 über 120.000 Fälle von Desertion oder unerlaubtem Fernbleiben registriert – eine Zahl, die 2024 drastisch gestiegen ist. Experten sprechen von einem alarmierenden Trend, der die Kampfkraft des Landes gefährdet.
Erschöpfung und Korruption als Treiber
Die Gründe für die Flucht sind vielfältig. Soldaten berichten von monatelangem Einsatz ohne Pause, mangelhafter Ausrüstung und unzureichender Versorgung. „Nach drei Jahren Krieg sind viele einfach am Ende“, sagt Militäranalyst Oleksandr Kovalenko aus Kiew. Hinzu kommt Korruption: Berichte über Kommandeure, die Schutzgelder verlangen oder Rekruten gegen Bestechung freikaufen, häufen sich. Tausende Wehrpflichtige verlassen das Land illegal, oft mit gefälschten Dokumenten oder über die grüne Grenze.
Flucht ins Ausland
Schätzungen zufolge leben allein in der EU über 650.000 ukrainische Männer im wehrfähigen Alter, viele davon in Deutschland. Hier registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis Ende 2024 rund 200.000 Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Nicht alle sind Fahnenflüchtige – es gibt legale Ausnahmen wie Studenten oder Alleinerziehende –, doch die ukrainische Regierung fordert zunehmend ihre Rückkehr. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach kürzlich von „moralischer Pflicht“, während Fraktionschef David Arahamia sogar Auslieferungen aus dem Ausland ins Spiel brachte.
Reaktionen und Konsequenzen
In Deutschland sorgt das Thema für Kontroversen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) kritisiert, dass „fahnenflüchtige Ukrainer mit Bürgergeld alimentiert werden“, und sieht darin einen Widerspruch zur Unterstützung der Ukraine. Die Bundesregierung lehnt Auslieferungen jedoch ab – rechtlich ist dies ohne Strafverfahren kaum möglich. Humanitäre Aufenthaltstitel schützen die Geflüchteten vorerst.
An der Front verschärft sich die Lage: Mit schwindendem Nachschub an Kämpfern geraten ukrainische Einheiten unter Druck. „Westliche Waffen nützen wenig, wenn die Menschen ausgehen“, warnt Ex-Generalleutnant Roland Kather. Während Russland weiter vorrückt, steht die Ukraine vor einem doppelten Kampf – gegen den Feind und gegen die eigene Erschöpfung.