Psychiatriefall Stephanie Ammer: Fixierung-Anordnung Blanko? Fixierung an 17 von 30 Tagen?

By behoerdenstress13

Fixierung Anordnung blanko (2)

Der nachfolgende Text stellt einige Überlegungen und Gedanken dar, die ich mir als Bruder der betroffenen Patientin Stephanie Ammer im Zusammenhang mit dem Vorgehen des BKH Taufkirchen und der Stellungnahme von Prof. Dr. med. D. im Bezug auf die Petition EB.0783.16 gemacht habe.

Überlegungen zur rechtlichen Lage forensischer Patienten in Bayern

am Fall Stephanie Ammer

  1. Die Fesselung im Kontext des UnterbrG

Das UnterbrG sieht unmittelbaren Zwang, darunter fallen zweifellos Maßnahmen wie die 5 Punkt Fixierung, in Art. 13 Abs. 2 und Art. 19 explizit vor. Zudem ist unmittelbarer Zwang zulässig, wenn dies zur Durchführung von Art. 12 Abs. 1 und 2 notwendig ist.

Da weder aus der Protokollierung der Maßnahmen, noch aus der Stellungnahme von Hr. Prof. Dr. med. Dose hervorgeht, auf welche Rechtsgrundlage sich die behandelnden Ärzte konkret stützten kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden.

Der Zweck der einschlägigen Paragraphen des UnterbrG lässt nach teleologischer Auslegung zwei Schlüsse zu: Zunächst darf unmittelbarer Zwang zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Einrichtung angewendet werden. Des Weiteren darf er angewendet werden, um die Durchführung „unaufschiebbarer Behandlungsmaßnahmen“ zu gewährleisten (Art. 13 Abs. 2 UnterbrG).

Hr. Prof. Dr. med. D. schreibt in seiner Stellungnahme, dass die Patientin Stephanie Ammer bereits einen Tag nach der Wiederaufnahme in Taufkirchen fixiert werden musste, denn sie „schlug gegen eine Scheibe, zerknüllte den Verhaltensplan, schrie und war innerlich angespannt“. Da es sich bei dem beschriebenen Grund nicht um „unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen“ handelt, gehe ich davon aus, dass die Begründung die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung darstellt. Dies ist aber nur durch Schlussfolgerungen möglich, da, wie bereits erwähnt, nirgendwo eine Berufung auf eine Rechtsgrundlage angegeben ist.

Art. 19 Abs. 3 Satz 1 UnterbrG schreibt vor, dass aus mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen die mit der voraussichtlich geringsten Beeinträchtigung zu wählen ist. Aus keiner Protokollierung oder Stellungnahme geht hervor, dass die behandelnden Ärzte eine entsprechende Abwägung durchgeführt haben, geschweige denn, sich mit der Geeignetheit der Maßnahme auseinandergesetzt haben. So wird in den Protokollen immer wieder Aggression als Grund einer Fesselung aufgeführt. Ob solche Fixierung an ein Bett allerdings eine geeignete Maßnahme zum Aggressionsabbau darstellt sei dahingestellt, allerdings ist mir keine wissenschaftlich anerkannte Studie bekannt, die einen solchen Schluss auch nur ansatzweise zulassen würde.

In Art. 19 Abs. 3 Satz 2 UnterbrG wird zudem eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert, da „Unmittelbarer Zwang unterbleibt, wenn ein durch ihn zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht.“ Im vorliegenden Fall zeigte die Patientin schon bei einem Besuch der Familie im Dezember 2008, dass sie unter panischer Angst litt wieder gefesselt zu werden. Ihre Ausführungen – sie war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage ganze Sätze zu formulieren, ihre Gedanken kreisten nur noch um die Fixierung und Isolation – legen einen massiv traumatisierten Zustand nahe. Spätestens hier hätte der Schluss nahe gelegen, dass der bereits entstandene und weiterhin zu erwartende Schaden in keinem Verhältnis zum angestrebten Erfolg (welcher auch immer) stand.

Anzumerken ist zudem, dass die Protokollierungspraxis Fragen aufwirft. So sind die Protokolle zu den Fixierungen großteils unvollständig ausgefüllt, teilweise ohne Begründung, gelegentlich ohne Zeitbeschränkung (Zeitangabe: „auf weiteres“) und ein Protokoll ist sogar blankounterschrieben. Dies legt den Schluss nahe, dass es u. U. bereits im Voraus unterschriebene Anordnungen gab. Möglich, dass sich hier das von Hr. Prof. Dr. med. D. erwähnte Vorgehen nach therapeutischen Erwägungen verbirgt.[1]

Es bleibt festzuhalten, dass eine unvoreingenommene Untersuchung der Vorgehensweise der behandelnden Ärzte möglicherweise interessant sein könnte, da sich m. E. begründete Zweifel an einem ausreichend an den Maßstäben des UnterbrG orientiertem Handeln ergeben. Unabhängig davon gilt es das bayerische UnterbrG an den Maßstäben des Grundgesetzes zu überprüfen.

  1. Materielle Verfassungsmäßigkeit (Grundrechtseingriff)

Durch das UnterbrG wird massiv in garantierte Grundrechte eingegriffen. Dabei sind vorrangig die auch in Art. 29 UnterbrG genannten Art. 2 Abs. 2, Art. 10, 11, 13 GG betroffen. Zusätzlich könnte auch Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG von Bedeutung sein, da er einen besonderen Rechtsschutz für festgehaltene Personen formuliert.

Im vorliegenden Fall ist der eröffnete Schutzbereich die körperliche Unversehrtheit der Patientin, in die durch die Fesselung als Maßnahme „unmittelbaren Zwangs“ eingegriffen wurde.

Für Art. 2 Abs. 2 GG, der u. a. das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert gilt, dass nur auf Grund eines Gesetzes in dieses Recht eingegriffen werden darf (Gesetzesvorbehalt). Dieses Kriterium ist im vorliegenden Fall erfüllt, (dementsprechend liegt auch staatliches Handeln vor) doch stellt sich die Frage, ob die zusätzlich zu beachtenden Schranken-Schranken, die sich aus Art. 19 GG ergeben ausreichend gewürdigt sind.

Insbesondere eine Prüfung des Bestimmtheitsgrundsatzes sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wäre im Bezug auf das UnterbrG relevant. Außerdem ist eine ausreichende Berücksichtigung des Wesensgehalts des Art. 2 Abs. 2 GG fraglich.

Bezüglich des Bestimmtheitsgrundsatzes gilt, dass der Anwendungsbereich unmittelbaren Zwangs aus dem Gesetzestext nicht eindeutig abgegrenzt werden kann. Die Definition der Begriffe „Sicherheit und Ordnung“ und „unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen“ ist den ausführenden Personen überlassen. Zudem ist der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit durch unmittelbaren Zwang keinen weiteren Beschränkungen oder Kontrollen unterworfen. Sowohl eine zeitliche, als auch eine methodenbezogene Klarstellung ist im Gesetzestext nicht vorhanden.

Wäre es demnach möglich zeitlich unbefristete Fesselungen vorzunehmen?

Welche Maßnahmen unmittelbaren Zwangs sind gerechtfertigt/verhältnismäßig?

Bis wann ist unmittelbarer Zwang angemessen und rechtmäßig?

Ab wann handelt es sich um eine unrechtmäßige körperliche oder seelische Misshandlung im Sinne von Art. 104 GG?

In diesem Zusammenhang sei besonders auf ein Urteil des BVerfG verwiesen (2 BvR 9/06), dass ausdrücklich festhält: „Aus dem Umstand, dass sachgerechte Behandlung Spielräume erfordert (…) folgt nicht, dass dieser Spielraum unbegrenzt sein und der Gesetzgeber sich daher jeder näheren Normierung der Voraussetzungen und Grenzen eingreifender Behandlungsmaßnahmen enthalten müsste und dürfte.“

Wie verhalten sich das UnterbrG und daraus folgende Maßnahmen im Verhältnis zu Art. 3 EMRK: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Handelt es sich bei einer Fesselung über einen Zeitraum von mehreren Tagen am Stück, an 17 von 30 Tagen innerhalb eines Monats nicht um eine erniedrigende Behandlung?

Das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention stehen in der Tradition des abendländischen und humanistischen Menschenbilds. Sie räumen jedem Menschen gleichermaßen unveräußerliche Rechte ein. Es ist unsere Aufgabe diese Rechte gerade für jene, die keine Lobby haben zu sichern.

[1] Möglicherweise die gleichen therapeutischen Gründe, nach denen Hr. Prof. Dr. med. D. der Patientin das Besuchsrecht durch Familienmitglieder verweigert hat (mit Stellungnahme vom 23.1.2009). Dies steht in klarem Widerspruch zum Urteil des BVerfG (2 BvR 2219/06) das den Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG auch im Maßregelvollzug betont.

Zudem ist die Praxis negativer Verstärkung/Sanktionierung wie sie sich in der Fixierung und dem Entzug von Besuchs- und Telefonkontaktrechten ausdrückt juristisch mehr als umstritten. Vgl. Urteil des BVerfG 2 BvR 9/06: In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob die Beantwortung unerwünschter Verhaltensweisen von Maßregelvollzugspatienten mit sanktionsartigen Maßnahmen, die den Patienten im Sinne einer „negativen Verstärkung“ beeinflussen und damit präventiv wirken sollen, als Behandlungsmaßnahme anzusehen ist (in diesem Sinne LG Marburg, Beschluss vom 28. August 1991 – 7b StVK 131/91 -, R & P 1992, S. 67 ; zustimmend Lückemann in: Arloth/Lückemann, StVollzG 2004, § 136 Rn. 2; Kreuzer, Behandlung, Zwang und Einschränkungen im Maßregelvollzug, 1994, S. 30 ff.), oder ob derartigen Reaktionen des Klinikpersonals auf Regelverstöße der Patienten der Charakter einer – bislang in keinem der Landesgesetze zum Maßregelvollzug vorgesehenen – Disziplinarmaßnahme zukommt (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 1. Dezember 2005 – StVK 743/05 -, StraFo 2006, S. 87; Hanseatisches OLG, a.a.O.; Lindemann, Die Sanktionierung unbotmäßigen Patientenverhaltens, 2004, S. 6 ff., 61 ff.; Pollähne, R & P 1992, S. 47 ff.; ders., in: AK-StVollzG, 5. Aufl. 2006, vor § 136 Rn. 12; Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 6. Aufl. 2003, S. 171 ff.; Wagner, in: Kammeier , Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Kap. D Rn. 37 ff.)

S. Ammer

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